Hannahs Rückkehr

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Elizabeth West
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Hannahs Rückkehr

Beitrag von Elizabeth West » 11.09.2009, 22:55

Gemächlich fuhr Hannah die Waldstraße entlang, die zu der Mount Horizon High führte. Erst vor einigen Minuten hatte sie Saint Agnes hinter sich gelassen und war auf diese gut vertraute Straße eingebogen. Nun würde es noch gut eine Stunde dauern, bis sie die Schule erreichen würde, wahrscheinlich noch länger, da sie kaum 40 Meilen in der Stunde fuhr. Sie hatte die Fenster ihres schon etwas älteren Fords geöffnet und genoss die frische Waldluft, die das Auto durchströmte. Aus ihrem Radio drang irgendein ruhiges Lied und trotzdem konnte die Idylle nicht ihre gemischten Gefühle zum Schweigen bringen.

Während sie ihre Taschen gepackt und in ihr Auto geladen hatte, hatte sie noch große Freude darüber verspürt nach St. Agnes zurückzukehren, doch schon zwanzig Meilen später hatte sich auch ein anderes Gefühl in ihr breit gemacht. St. Agnes war ihr Zuhause. Seit Jahren hatte sie sich dort wohl gefühlt und wollte eigentlich den Rest ihres Lebens dort verbringen, doch ihr Mann hatte eine andere Lebensplanung gehabt sowohl für sich selbst als auch für sie und das sogar ohne sie darüber zu informieren.

Bei dem Gedanken an ihren Ex-Mann krampften sich Hannahs Hände sofort wieder ein wenig enger um das Lenkrad. Wie hatte er es nur wagen können hinter ihrem Rücken einen anderen Job anzunehmen und sie zu entwurzeln. Die Kids von der Mount Horizon High waren ihre Kinder gewesen und sie hatte sie sehr vermisst, nachdem sie dann dort in Seattle nur noch Hausfrau gewesen war, was nur noch mehr zu ihrer Wut beigetragen hatte. Sie hätte sich gewünscht, dass bei ihrer Ehe noch etwas zu retten gewesen wäre, aber nicht nachdem, was er ihr da angetan hatte. Nun fühlte sie sich wieder frei.

Doch je näher sie der Schule kam, desto mehr kamen auch die negativen Gedanken wieder auf und führten dazu, dass sie eher abbremste als Vorfreude verspürte. Sie hatte die Jugendlichen vermisst, aber da waren auch noch die schlechten Erinnerungen an den Jungen, der sich unter ihrer Aufsicht eine Überdosis gespritzt hatte, obwohl sie es eigentlich hätte verhindern können. Erneut umschlossen ihre Hände fest das Lenkrad. Das würde sie sich nie verzeihen können. Der Junge hätte den Tod finden können und das nur, weil sie nicht genau aufgepasst hatte. Dabei waren sie doch dafür da um den Schülern zu helfen. Ihnen einen möglichst sicheren Hafen zu geben und doch passierte immer wieder so etwas. Zum Teil hatte sie gehofft, dass die Zeit ihr helfen würde dies ein wenig zu vergessen. Doch es gab wohl Narben, die sie Zeit niemals heilen würde. Der Junge, der danach noch so viele Monate im Krankenhaus verbracht hatte, gehörte wohl dazu. Einige Wochen nach dem Vorfall hatte sie den Jungen noch einmal besucht, doch auch, wenn die Eltern ihr versichert hatten, dass es nicht ihre Schuld gewesen war, waren die Erinnerungen von dem Augenblick, als sie auf die Schule gekommen waren nur um zu sehen, wie ihr Sohn im Krankenwagen in das Krankenhaus von St. Agnes gebracht wurde, noch viel zu deutlich in ihrer Erinnerung.

Damals war es noch der laut ausgesprochene Vorwurf gewesen, vor dem Peter sie zwar beschützt hatte, aber dann zuhause bei dieser Familie waren die unausgesprochenen Worte in ihren Augen das gewesen, was Hannah wohl nie vergessen würde. Noch zwanzig Meilen bis zur Mount Horizon High. Sie hatte sich nicht angekündigt, vielleicht sollte sie nun einfach wieder umdrehen.

Noch ein paar Feet und schon würde ein Waldweg kommen, an dem sie ihren Wagen drehen könnte. Ein Weg, den sie schon mehrere Male entlang gejoggt war. Mal freudig, weil sich plötzlich ein Schüler positiv entwickelt hat, mal unter größter Sorge und auf der Suche nach ihren Schülern, weil Scott seine Kameraden zurückgelassen hatte und sie einfach nicht im Ziel ankamen. Es war ihm eine Lektion gewesen und sie hoffte, dass er sich weiterhin gut entwickelt hatte. Sie fuhr langsamer, setzte den Blinker und fuhr doch an dem Weg vorbei.

Der Meilenzähler erschien ihr wie ein Countdownzähler. 15 Meilen bis zu der Schule. 10 Meilen, 5 und plötzlich fing ihr Herz an zu pochen. Die ganze Zeit hatte sie kaum auf ihre Autoradio geachtet, doch nun drängte sich ein Lied in ihr Bewusstsein, das passender nicht hätte sein können. Sie hatte es noch nie zuvor gehört und trotzdem sprach es sie an, besonders der Refrain. "Reach for me, I cannot wait another day without you, take me to higher ground, take me where it's save and sound." Eigentlich war die Mount Horizon High doch auch ihr sicherer Hafen, der Ort an dem sie sich wohl fühlte. Die letzten fünf Meilen verstrichen ohne, dass sie noch einmal die Geschwindigkeit senkte um einen Gedanken daran zu verschwenden wieder umzudrehen und weg zu rennen.

Sie war schon einmal weggerannt, als sie mit ihrem Mann gegangen war, aber eigentlich war sie sich von Anfang an bewusst gewesen, dass sie nicht lange weg sein würde. Sie wollte nur nicht einfach plötzlich in Peters Büro auftauchen, besonders da es schon recht spät war. Vielleicht hätte sie sich einfach ein Zimmer im Motel nehmen sollen um dann am nächsten Morgen mit ihm zu reden, aber wahrscheinlich hätte sie dann die gesamte Nacht nicht schlafen können. Noch ein Stück von der Schule entfernt, bog Hannah daher in einen anderen kleinen Seitenweg ein, der sie zu den Hütten führen würde, wo die Betreuer und besonders auch Peter lebten.

TBC: Peters Haus

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